Im Jahr 1999 hinterfragt der französische Philosoph und Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman die Techniken und die Modernität des Abdruckes und schloss in der Ouvertüre mit dem Ergebnis: „Vergeblich hält der Abdruck uns den Kontakt vor, aus dem er hervorgegangen ist – diese Berührung wird letztlich fast zwangsläufig als Trennung, als Verlust, als Abwesenheit aufgefasst.“1 Linda Nadjis Arbeiten weisen wiederholt auf diese Erkenntnis hin. Sie hinterfragt nicht nur das Jetzt und Hier, sondern auch das Vorher und Woher. Sie ändert die Sehgewohnheiten, stülpt das Außen nach innen oder verbindet das Mögliche mit dem Unmöglichen. Ihre Koffer, Taschen und Tüten aus Beton legen davon Zeugnis ab. Einzeln und in der Gruppe stehen sie als Stein gewordene Installation im Raum als Abdruck und Beweis dafür, dass ein Prozess stattgefunden hat. Die Künstlerin hat sich bewusst für das Material Beton entschieden. Sie nutzt den Baustoff, der für den Bau von Häusern verwendet wird, für einen mobilen Gegenstand, den Koffer oder die Tasche. So symbolisiert der Stein gewordene Koffer die Last der Beweglichkeit und steht nunmehr für den Stillstand oder ein bewusstes Innehalten. In der Gleichheit der optischen Erscheinung gesellt sich das (Un)Wissen über den Unterschied zum ursprünglichen Ding. Wir sehen die Dimension und können die Einkerbungen und Verschlüsse des Objektes erfühlen, dennoch wissen wir nichts vom Ursprung. Welche Farbe hatte das Objekt? Wem gehörte es? Wer ist damit verreist? Bei aller formalen Schönheit sind dies Fragen, die die 1972 in Persien geborene Künstlerin subversiv in ihrer Arbeit mitdenkt: Es sind Fragen, die auch mit ihrer Biografie zusammenhängen und denen sie in Teilen ihrer Installationen, Zeichnungen und Skulpturen immer wieder versucht auf den Grund zu gehen. So wird der Koffer aus Beton zum Synonym einer Reise in die verlassene Heimat, in die eine Rückkehr wegen politischer Umstände unmöglich geworden ist. Sie blieb bei ihrer Familie, die in Deutschland auf Besuch war, und verließ alles, was sie kannte. Der Betonkoffer und die Betontasche werden zu Sinnbildern der Trennung und des Verlustes. In Beton gegossen zeigt uns Nadji anwesende schmerzliche Abwesenheit und verbindet so das Damals mit dem Heute.
Auch ihre Installation „Rampe“ oder ihre Abschlussinstallation „Zwischenräume“ in der Kunstakademie Düsseldorf im Jahr 2011 mit der Arbeit „Durchgang“ sind Beispiele dafür, dass Nadji Sehgewohnheiten ändert, den Dingen und dem eingefahrenen Muster auf den Grund geht, ohne sie zu negieren. Gleich der Kunst der amerikanischen Minimal Art fasst Nadji den Raum gleich einer Bühne auf, in dem ihre Objekte sich präsentieren und miteinander agieren. Der von der Künstlerin durch architektonische Eingriffe veränderte Raum zeigt sich in einem neuen Gefüge. Bekanntes, wie der Raum ihrer Abschlusspräsentation in der Düsseldorfer Kunstakademie, erhält durch Nadjis Installationen ein neues ungewohntes, fast futuristisch anmutendes Äußeres. Es hat seinen besonderen Reiz, Nadjis Skulpturen in der Kunststation St. Peter zu begegnen, deren romanischen Räume zur Kulisse ihrer Inszenierung werden.